Wasserstoff-Stahl: Duisburg als Blaupause für die Welt


Thyssenkrupp-Steel hat sich auf den Weg gemacht, Stahl zukünftig klimaneutral zu produzieren. Mit Milliarden-Auftrag sollen die Weichen für die nächste große industrielle Revolution gestellt werden – sie wird von Duisburg ausgehen.

Wasserstoff-Stahl: Duisburg als Blaupause für die Welt Thyssenkrupp-Steel hat sich auf den Weg gemacht, Stahl zukünftig klimaneutral zu produzieren. Mit Milliarden-Auftrag sollen die Weichen für die nächste große industrielle Revolution gestellt werden – sie wird von Duisburg ausgehen.

Wer heute am Werksgelände von Thyssenkrupp-Steel (TKS) im Duisburger Norden vorbeifährt, dem steigt der Geruch von verbrannter Kohle in die Nase. Es riecht nach Industrie mit Abgasen und Dreck. Aber damit soll es in wenigen Jahren vorbei sein: Am vergangenen Mittwoch läutete der Stahlkonzern eine Zeitenwende ein – die bis spätestens 2045 in einer klimaneutralen Produktion münden soll.

Vor der versammelten Bundespresse mit ihren Kamerateams und Fotografen verkündete Thyssenkrupp-Steel die Vergabe des milliardenschweren Auftrags für den Bau der ersten mit wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlage an die SMS Group. Mit einem Volumen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro allein für den Anlagenbauer aus Nordrhein-Westfalen ist es das weltweit größte industrielle Projekt zum Klimaschutz. TKS schätzt die Kosten insgesamt auf mehr als zwei Milliarden Euro, kann sie aber noch nicht genau beziffern.


Historischer Meilenstein

„In unserer mehr als 200-jährigen Geschichte hat es viele Umbrüche gegeben“, sagt Bernhard Osburg, Vorstandschef von Thyssenkrupp-Steel, im Besucherzentrum am Ende des riesigen Hüttenwerks, das fünfmal so groß ist wie Monaco. „Aber kein Meilenstein der Vergangenheit ist derart entscheidend wie die technologische Wende, die wir heute einleiten.“

Die Direktreduktionsanlage (DR) will TKS bereits Ende 2026 in Betrieb nehmen. Zuerst soll sie noch im Testbetrieb mit Erdgas betrieben werden. Ende 2027 soll dann der erste Wasserstoff zum Einsatz kommen. Danach soll der Wasserstoff-Anteil kontinuierlich steigen, was aber von der verfügbaren Menge abhängig sei.

Gigantischer Bedarf an Wasserstoff

TKS arbeitet aber bereits daran, Lieferanten zu akquirieren. So plant etwa das Essener Energieunternehmen Steag im Duisburger Stadtteil Walsum einen sogenannten Elektrolyseur zu errichten, der pro Jahr bis 75.000 Tonnen Wasserstoff produzieren kann. Das wäre ein großer Teil des Wasserstoffbedarfs der ersten DR-Anlage. Später seien jährlich 700.000 Tonnen Wasserstoff nötig, so Osburg. Um diese gigantische Menge zu erzeugen, sind bis zu 50 Terrawattstunden (TWh) erforderlich. Das sei die fünffache Menge des Stromverbrauchs von Hamburg und entspricht der Leistung von 3800 Offshore-Windkraftanlagen.
Die Anstrengungen lohnen sich aber: Allein die erste Anlage spare bereits jährlich 3,5 Millionen Tonnen CO₂ ein. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 verursachten alle privaten Pkw Emissionen in Höhe von 89,7 Millionen Tonnen CO₂, so Daten von Statista. Aktuell stoßt das Werk in Duisburg insgesamt rund 20 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr aus – das entspricht etwa 2,5 Prozent der gesamten deutschen CO₂-Emissionen.


Klimaziele von Paris: TKS trägt Verantwortung

Daher betont Bernhard Osburg: „Wir sind uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und stehen zu den Pariser Klimazielen.“ Kein anderes deutsches Industrieunternehmen hätte einen so großen Hebel wie TKS, um klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. „Denn es gibt eine Möglichkeit, Stahl klimaneutral zu produzieren: Indem wir die klassische, kohlebasierte Hochofentechnologie durch die wasserstoffbetriebene Direktreduktion ersetzen“, so der Vorstandschef.

Diese komplexe Transformationsaufgabe könne aber nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Unternehmen, Politik und Gesellschaft gelöst werden. Und die Politik sicherte bereits Unterstützung zu: Das Land NRW will das Vorhaben mit bis zu 700 Millionen Euro fördern. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagt: „Das ist die größte Einzelförderung, die es in der Geschichte des Landes je gegeben hat.“ Ebenso hat der Bund „substanzielle Unterstützungen“ zugesichert, wie TKS mitteilt. Die Prüfung und Notifizierung des Förderantrags durch die Europäische Union stehe allerdings noch aus.

Verfügbarkeit von Wasserstoff

Für TKS gibt es aber noch andere Unwägbarkeiten, wie Martina Merz, Vorständin der Thyssenkrupp AG, erklärt: „Wir betreten damit technologisches und betriebswirtschaftliches Neuland“, sagt sie. „Denn beispielsweise bei den Energie- und Gaspreisen sowie der Verfügbarkeit und den künftigen Kosten von Wasserstoff arbeiten wir mit Annahmen, von denen wir nicht wissen können, ob sich die Märkte auch so entwickeln. Das gehört zur Wahrheit dazu.“

Nicht umsonst spricht Bernhard Osburg davon, dass Duisburg mit dem ehrgeizigen Projekt in Sachen grüner Stahl durch Wasserstoff zur Blaupause für die Welt wird. „Stahl ist und Stahl bleibt der wichtigste Werkstoff der Welt“, so Osburg. Und durch grünen Wasserstoff wird Stahl als klimaneutrales Produkt auch zukünftig konkurrenzfähig sein. In Duisburg als „Wasserstoff-Hauptstadt Europas“ finde damit der „größte Strukturwandel seit der Industrialisierung“ statt.


Oberbürgermeister: Stolz auf die Stahlstadt

„Dass wir der Welt zeigen, wie das geht“, sagt Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, „das macht mich als Kind einer Stahlstadt stolz.“ Land und Bund sei er dankbar, dass sie die Bedeutung dieses Projektes erkannt haben und es unterstützen wollen. Deswegen sei die Bekanntgabe des Milliarden-Auftrags „ein historischer Tag“ – nicht nur für Duisburg – sondern für die Welt.