Veröffentlicht im August 2025

Mit dem Katamaran
in die Zukunft


In Duisburg wird Technologiegeschichte geschrieben. Wissenschaftler sind mit dem Forschungsschiff „NOVA“ auf dem Rhein unterwegs. Sie sammeln wichtige Daten für die Automatisierung der Binnenschifffahrt.



Auf dem Schiffsanleger drängeln sich Pressefotografen und die Kameraleute vom Fernsehen. Jeder hofft auf das beste Bild. Die „NOVA“, immerhin der Star an diesem Mai-Nachmittag, ist unbeeindruckt von all‘ dem Trubel. Gut vertäut liegt der Katamaran auf dem Wasser und ahnt nicht, dass gleich eine Sektflasche an seinem Rumpf zerschellen wird. Diese Aufgabe übernimmt nun NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer. „Allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“, ruft der Politiker, lässt die Flasche sausen, hört erst das Klirren von Glas und dann – lauten Applaus.


Jens Neugebauer und Frédéric Kracht verfolgen die Schiffstaufe im Duisburger Stadtteil Ruhrort aus der zweiten Reihe. Die beiden Wissenschaftler legen es nicht drauf an, im Rampenlicht zu stehen – obwohl sie maßgeblich an der Entwicklung der „NOVA“ beteiligt waren. Neugebauer hatte die Projektleitung inne, Kracht war unter anderem verantwortlich für das Sensorkonzept des Schiffs. „Für uns ist heute auch so ein sehr feierlicher Tag“, sagt Jens Neugebauer. „Mit der ,NOVA‘ schreiben wir in Duisburg Technologie-Geschichte. Mit ihr werden wir Antworten auf wichtige Zukunftsfragen der Binnenschifffahrt finden.“




Man muss dazu wissen: Die Binnenschifffahrt steht vor großen Herausforderungen. Der Personalmangel in der Branche ist gravierend. Obendrein sorgt der Klimawandel für eine Zunahme extremer Wetterlagen. Bleibt der Regen aus, sinken die Pegelstände. Und dann können die Schiffe nur wenig Fracht transportieren. In der Folge kann es passieren, dass Tankstellen nicht mehr mit Benzin beliefert werden. Oder Chemie-Werke nicht mehr produzieren. „Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht die Binnenschifffahrt mehr denn je. Bei Straße und Schiene sind die Belastungsgrenzen erreicht. Auf dem Wasser haben wir aber noch freie Kapazitäten“, sagt Frédéric Kracht.



Die Entwicklung neuer Technologien für die Schifffahrt soll mit der „NOVA“ nun deutlich beschleunigt werden. Auch, weil künftig viel bürokratischer Aufwand entfällt. Der Katamaran zählt aufgrund seiner kompakten Bauweise nämlich als Kleinfahrzeug. Somit können die Forscher das Schiff mit einem Sportbootführerschein fahren. „Die Forschungsergebnisse der ,NOVA‘ können wir dann später ohne allzu hohen Aufwand auf große Binnenschiffe übertragen“, sagt Frédéric Kracht. „Insbesondere geht es uns um das autonome Fahren“, ergänzt Jens Neugebauer.


An Bord des Forschungsschiffs ist daher jede Menge professionelles Navigationsequipment verbaut. Es gibt zahlreiche Kameras, Radar-Geräte, Laser-Scanner und Abstands-Sensoren. „In Zukunft werden Schiffe ferngesteuert fahren, ohne dass ein Kapitän an Bord sein muss“, sagt Frédéric Kracht. „Und die Daten, die wir an Bord der ,NOVA‘ sammeln, sind die Grundlage dafür.“


Bevor ein Schiff aber nun komplett unbemannt über die Wasserstraßen steuern darf, gilt es, noch eine Reihe von rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären. Auch technische Fragen sind noch offen: Wie gut klappen komplizierte An- und Ablege-Manöver im Hafen? Wie reagiert die Technik bei schwierigen Witterungsverhältnissen? Was passiert, wenn im Nebel eine Kameralinse beschlägt, oder wenn ein Sensor ausfällt? „All‘ solche Sachen können wir mit der ,NOVA‘ in sicherer Umgebung testen“, sagt Jens Neugebauer.



Dass die Forscher in Duisburg arbeiten, kommt nicht von ungefähr. „Duisburg ist Deutschlands wichtigster Binnenschifffahrtsstandort. Die Voraussetzungen hier sind ideal“, sagt Frédéric Kracht. Dann zählt er auf: die Ruhr, der Rhein, der größte Binnenhafen der Welt. Dazu das Know-how der Uni Duisburg-Essen. Und die Expertise vom Schifffahrt-Forschungszentrum DST. Ebenso vor Ort: Unternehmen, Reedereien, Transportlogistik. Und viele Jobs, die mit der Branche zu tun haben. „In unseren Forschungsprojekten arbeiten wir bereits jetzt mit vielen Industriepartnern zusammen. Daher finden unsere Ergebnisse auch immer sehr schnell ihren Weg in die praktische Anwendung“, sagt Jens Neugebauer.



Ein paar Tage später sind die Forscher mit der „NOVA“ wieder unterwegs auf dem Rhein. Jens Neugebauer sitzt im Steuerstand. Durch ein großes Panoramafenster hat er die Umgebung im Blick. Aufgrund ihres Elektro-Antriebs gleitet die „NOVA“ fast lautlos übers Wasser. „Sie fährt sich sehr agil, sehr wendig“, sagt Neugebauer. „Und sie ist ein echter Hingucker.“





Wo die „NOVA“ auch hinkommt, immer zieht sie neugierige Blicke auf sich. Am Ufer zücken Fahrradfahrer und Spaziergänger ihre Handykameras und machen Fotos von dem Katamaran. „Mit ihrem futuristischen Aussehen verkörpert die ,NOVA‘ auch optisch die Innovation, die wir hier mit diesem Schiff erreichen wollen“, sagt Frédéric Kracht. Die Katamaran-Bauweise hat aber auch ganz praktische Vorteile: Das Forschungsschiff ist 15 Meter lang, in der Breite misst es 7,10 Meter – viel Platz also. „Dank der großen Fläche können wir jederzeit flexibel auf neue Entwicklungen reagieren und weitere Technik einbauen.“


Eine wichtige Rolle bei der „NOVA“ spielt auch das Thema Emissionsfreiheit. „Die Nachhaltigkeit haben wir von Anfang an mitgedacht“, sagt Jens Neugebauer. Das vollelektrische Schiff hat Solarzellen an Bord und fährt mit einem Batteriesystem. Konstruiert ist es aber so, dass künftig auch noch weitere klimaneutrale Energieträger integriert werden können, etwa Brennstoffzellen. „Zugleich ist die ,NOVA‘ auch so schon sehr effizient. Wir haben den Rumpf optimiert und fahren mit nur 72 Zentimeter Tiefgang – das führt zu einem sehr geringen Energiebedarf“, sagt Neugebauer.


Bis zu 320 Kilowattstunden Strom speichert der Schiffs-Akku. Unter idealen Bedingungen fährt die „NOVA“ zwei Tage lang, ohne eine Ladepause an der Steckdose einlegen zu müssen. „Demnächst wollen wir mit dem Katamaran über den Rhein zum Hafenfest in Rotterdam fahren“, sagt Frédéric Kracht. „Das Interesse an unserem Schiff ist auch dort sehr groß.“

Es ist also zu erwarten, dass der „NOVA“ auch in den Niederlanden ein großer Empfang bereitet wird. Dann werden sich auch dort die Fotografen und die Fernsehleute auf dem Schiffsanleger drängeln.




DÜRFEN WIR VORSTELLEN? UNSERE KAPITÄNE

Der Arbeitgeber von Dr.-Ing. Frédéric Kracht ist das in Duisburg ansässige „Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme“ (DST). Der 36-Jährige leitet in dem Forschungsinstitut den Fachbereich „Autonomes Fahren“. In den vergangenen 70 Jahren hat sich das DST ein hervorragendes Renommee erarbeitet.

Dr.-Ing. Jens Neugebauer (45) arbeitet an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Duisburg-Essen (UDE). Sein Einsatzgebiet ist das Institut für Nachhaltige und Autonome Maritime Systeme. Die UDE ist eine der wenigen Hochschulen in Deutschland, die sich mit maritimen Systemen, Binnenschifffahrt und Hafenlogistik beschäftigen.






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