Weiblich, 30 und Terminal-Chefin an Europas größtem Binnenhafen in Duisburg

Henriette Oesterwind leitet die Containerterminal-Aktivitäten bei duisport in Duisburg. Seit drei Jahren lenkt sie die Geschicke in der männerdominierten Branche am Hafen – dort steht auch der modernste Kransimulator Europas.

Duisburg. Christian Rother schaut durch eine Fensterscheibe über das Hafengelände im Duisburger Süden. Am Horizont sieht er die Landmarke „Tiger & Turtle“. Vor dieser beeindruckenden Kulisse verlädt der 51-Jährige jetzt Container. Er positioniert den Spreader seines Krans oberhalb eines Sattelaufliegers. Anschließend hebt Rother damit einen grünen 40-Fuß-Container an. Auf einmal verdunkelt sich der Duisburger Himmel. Ein Sturm zieht auf. Die Kabine schwankt hin und her. Doch Rother bleibt cool. Trotz der Turbulenzen setzt er den Container sicher auf einem Schiffsdeck ab. Kurz darauf klart der Himmel wieder auf.

Das Unwetter kam allerdings auf Knopfdruck. Die Scheiben in der Kabine sind in Wirklichkeit sieben hochauflösende Computerbildschirme. Rother befindet sich auch nicht draußen auf dem Gelände von logport II, einer 35 Hektar großen Logistikfläche im Duisburger Süden. Er sitzt stattdessen im duisport-Ausbildungszentrum. Dort bedient Rother einen Kransimulator. „Hier schulen wir die Mitarbeiter für die Aufgaben im echten Terminal“, sagt der Duisburger. Die Inhalte im Simulator sind ein Teil der Ausbildung, der durch weitere Theorie- und Praxismodule ergänzt wird. Rother arbeitet als Platzmeister und gleichzeitig als Ausbilder für duisport. Bereits seit elf Jahren ist Rother für den Komplettanbieter aus der Logistikbranche tätig. Er hat viele Kranführer ausgebildet. Früher war es weitaus zeitaufwändiger, Kranführer auszubilden, weil nur vor Ort und gemeinsam mit einem Kollegen geschult werden konnte. Dies hat viel mehr Ressourcen gebunden. Mit dem Kransimulator kann die Arbeit bereits im Vorfeld trainiert werden.

Produziert in Salt Lake City

Um neue Kranführer besser vorzubereiten, investierte duisport unter der Leitung des technischen Vorstands Prof. Thomas Schlipköther rund 500.000 Euro. So teuer war der Simulator, der jeden beliebigen echten Terminal detailgetreu simulieren kann. Das Team hat weltweit nach einem geeigneten Modell gesucht. Dieser ist der erste, der auch europäische Besonderheiten darstellen kann. Die Firma „Global Sim“ aus der US-Stadt Salt Lake City produzierte dieses Modell für das Duisburger Unternehmen. Wer den modernsten Simulator eines europäischen Binnenhafens sehen will, muss nach Ruhrort kommen, dem Stadtteil, der in ganz Deutschland durch die Schimanski-Krimis bekannt wurde.

Henriette Oesterwind steht im Nachbarraum. Über einen Monitor schaut sie ihrem Kollegen Rother bei der virtuellen Arbeit zu. Oesterwind leitet die Containerterminal-Aktivitäten bei der Tochtergesellschaft „duisport facility logistics GmbH“. Rund 70 Mitarbeiter gehören zu ihrem Team. In dieser Rolle war sie an der Entwicklung des Kransimulators maßgeblich beteiligt. „Wir haben uns mehrere Modelle angesehen“, sagt Oesterwind. „Das Problem war, dass die meisten für Seehäfen konzipiert wurden.“ Andere sahen überhaupt nicht aus wie eine Kabine. „Die bestanden teilweise nur aus einem Stuhl, drei Bildschirmen und ein paar Joysticks“, sagt Oesterwind. „Da hat man sich gar nicht wie in einem Kran gefühlt.“

Vom Lkw auf die Bahn oder das Schiff

Zudem brauchten die Logistiker in Duisburg einen Simulator, der genau auf die Arbeit im Binnenhafen zugeschnitten war. Die Kranführer sollen das Umschlagen vom Lkw auf die Bahn und das Schiff trainieren – mit Containern unterschiedlicher Größen. Von 20 bis 40 Fuß ist alles dabei. In Duisburg kommen auch viele Trailer an. Diese Lastwagen-Auflieger müssen im Huckepack-Verfahren verladen werden. Dafür brauchen die Kranführer eine Art Greifzange. „Piggy-Arms“ heißt die Konstruktion im Fachjargon. „Global Sim“ konnte diese Arbeit simulieren. Also entschieden sich Oesterwind und ihr Team für den Anbieter aus den USA.

Diesen Entwicklungsprozess bezeichnet die 30-Jährige als „sehr spannende Phase.“ Oesterwind arbeitet nun seit 2017 wieder in Duisburg. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich einen anderen Berufsweg einschlagen. Die gebürtige Bad Berleburgerin begann ein Nautikstudium. Oesterwind fuhr vier Monate zur See, ging dabei mal in Brasilien oder Indien vor Anker. „Mir war das auf Dauer aber zu langweilig“, erzählt sie. „Wenn man sechs Wochen lang nur Delfine sieht, ist das nicht so spannend.“

Oesterwind orientierte sich neu und begann im norddeutschen Elsfleth ein Studium der Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft. Ihr Praktikum absolvierte sie bei duisport. Bei dem Unternehmen verfasste die Studentin auch ihre Bachelorarbeit. Nach einem beruflichen Abstecher in die Automobil-Industrie und einem berufsbegleitenden Masterstudium der Wirtschaftswissenschaften verschlug es sie wieder ins Ruhrgebiet. Vor drei Jahren holte duisport ihre ehemalige Praktikantin als Führungskraft zurück. „Das internationale Flair und die lockere Atmosphäre gefallen mir hier“, sagt Oesterwind.

Dass Spaß zur Arbeit dazugehört, beweisen ihre Kollegen. Mitarbeiter Noel Wendland will zeigen, wie gut er den Simulator beherrscht. Er setzt sich in die Kabine und drückt die Knöpfe auf dem Joystick. Auf einmal vibriert es stark. Christian Rother hat das Unwetter-Szenario eingestellt, um seinen Kollegen herauszufordern. Lachen dringt durch den Raum. Hier sind kleine Scherze erlaubt. Oesterwind weiß ja, dass ihre Kollegen am echten Terminal hochkonzentriert ihre Arbeit machen – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Güterzüge nach Polen, Schweden und China

Wenige Tage nach dem Treffen im Ausbildungszentrum sitzt Henriette Oesterwind in ihrem Büro auf dem Gelände von logport III, einer weiteren Logistikfläche der duisport-Gruppe. Ihr Arbeitstag hat um 7 Uhr mit einer Absprache begonnen. Im Büro nehmen dann die Telefonate und die Kommunikation per E-Mail viel Zeit in Anspruch. Aber Oesterwind lässt es sich nicht nehmen, den Schutzhelm und die gelbe Warnweste anzuziehen, um sich auf dem Gelände im Duisburger Westen umzusehen. Ein Lkw mit niederländischen Kennzeichen fährt an ihr vorbei. Wenige Meter entfernt beginnt das Schienennetz. Vom Duisburger logport III aus starten Güterzüge mit den Zielen Polen, Italien, Schweden oder sogar China.

Ein piependes Geräusch dringt den Mitarbeitern in die Ohren. Es soll ihnen signalisieren, dass sich der große Kran in Bewegung setzt. Sicherheit steht auf dem Areal an erster Stelle. Als der Kran steht, nimmt Oesterwind die Stufen hoch zur Kabine. Sie möchte ihrem erfahrenen Mitarbeiter André Klein einen kurzen Besuch abstatten, fragen, wie es in 18 Metern Höhe so läuft. Doch Zeit für ein langes Gespräch bleibt nicht. Der Kranführer muss Container umschlagen. Wie sich seine Arbeit anfühlt, können Neueinsteiger übrigens ebenfalls im Ausbildungszentrum erleben.

Oesterwind verlässt die Kabine und lässt kurz ihren Blick schweifen. „Ich mag diese Weitsicht und den Wind“, sagt sie. Da klingelt auch schon wieder ihr Handy. Oesterwind bespricht sich mit einem Kunden. Es liegt noch ein langer Tag vor ihr. Das bringt die Position als Leiterin der Containerterminal-Aktivitäten so mit sich. Ihre neue Stellte trat Oesterwind kurz nach ihrem 27. Geburtstag an. Damals staunten viele Gesprächspartner, wenn sie hörten, welch verantwortungsvolle Aufgabe sie trotz ihres jungen Alters bereits habe. Und das als Frau in einer männerdominierten Branche. „Für mich war das von Anfang an gar kein Problem“, erzählt Oesterwind und schiebt lachend nach: „Aber ich habe auch drei Brüder. Das hat geprägt.“

Güterumschlag per Schiff 2019 in Mio. Tonnen in wichtigen Rheinhäfen im Vergleich

Der Binnenhafen Duisburg gilt als der größte der Welt und ist mitten in Europa der herausragende Knotenpunkt, wenn es um das Verfrachten und Transportieren von Gütern geht. Schienen, Straßen und Wasserwege in Kombination bieten die optimale Lösung für eine perfekte Transportkette. 2019 wurden in den Duisburger Häfen (inklusive privater Werkshäfen) insgesamt 123,7 Millionen Tonnen umgeschlagen.
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DUISBURG
(Quelle: Statista.com)

Schulungen für andere Kunden

Aktuell schult duisport im Kransimulator eigenes Personal. Doch auch Kunden und dem gesamten Hafennetzwerk sollen die Technik und die Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Auch e-Learning-Inhalte werden derzeit erarbeitet. „Uns ist ja viel daran gelegen, wenn unsere Kunden gut aufgestellt sind“, betont Henriette Oesterwind. „Das macht den Standort stärker.“ Zudem spricht die Leiterin der Container-Terminalaktivitäten die Beteiligungen im Ausland an. „Da braucht man ja auch Kranführer, die man hier schulen könnte“, sagt Oesterwind.