Mit schnellen Schlägen an die Spitze


Niklas Lebede (20 ) ist ein großes Ruder-Talent. Sein Trainingsgewässer ist die Regattabahn im Duisburger Sportpark Wedau. Und möglicherweise wird er bald schon die Nationalmannschaft verstärken.

Duisburg. Ein neuer Tag beginnt. Glutrot funkelt die Sonne hinter den Bäumen an der Regattabahn in Duisburg-Wedau. Auf den Wiesen am Ufer glitzert der Tau. Vögel zwitschern. Ein leichter Dunst hängt in der Luft. Niklas Lebede blickt auf das Wasser. Kein Wind, keine Wellen. „Die Bedingungen sind heute ideal“, sagt der 20-Jährige, steigt ins Ruderboot, greift das Ruder und stößt sich vom Steg ab. Langsam, ganz gemächlich, bewegt er sich auf der Bahn. Niklas Lebede sieht Enten und Gänse, sogar Fische kann er in dem klaren Wasser erkennen. Heute Morgen nimmt er sich Zeit, die Schönheit der Natur zu genießen. Bei jedem Ruderschlag schweift sein Blick übers Ufer. Es ist ein Luxus, den er sich nicht oft gönnen kann.

Niklas Lebede ist Leistungssportler. Auf dem Wasser gibt der Ruderer immer Vollgas. Sein Traum: eines Tages bei Olympia starten! Lebede hat schon einige Erfolge im Lebenslauf stehen. 2017 landeten er und seine Teamkollegen bei den Deutschen Jugendmeisterschaften mit dem schweren Achter-Boot auf dem dritten Platz. 2018 folgte der Landesvizemeister-Titel im Mix-Doppelvierer. 2019 und 2020 holte er bei den NRW-Meisterschaften jeweils den dritten Platz im Doppelzweier. Ebenfalls im Doppelzweier gewann er 2018 die „Ghent International Spring Regatta“ in Belgien. Im Jahr 2020 zeigte der Blick auf die Rangliste, dass der damals 18-Jährige nur noch fünf Sekunden von der deutschen Spitze entfernt war. Seitdem hat er kräftig an seiner Form gearbeitet. Lebede ist sich sicher: „Der Sprung in den Nationalkader ist bei mir nicht mehr weit entfernt“.


ZEHN KILOMETER ALS FRÜHRUNDE

Knapp zehn Kilometer hat Niklas Lebede bei seiner Frührunde mit dem Boot zurückgelegt. Jetzt sitzt er auf einem Sofa im Jugendraum des „Duisburger Ruderverein 1897/1910), vor ihm, auf einem kleinen Couchtisch, steht ein giftgrüner Power-Shake, flüssiges Sportler-Frühstück. Energie tanken für das weitere Tagesprogramm. „Eigentlich rudern alle bei uns in der Familie. Ich habe Mitte 2011 damit angefangen“, erzählt Lebede. Sein Vater Carsten habe ihn damals mit dem Sport in Kontakt gebracht, „er war früher selbst Leistungsruderer. Ich bin dann in seine Fußstapfen getreten, er hat mich trainiert.“

Der eigene Vater als Trainer – kann das gutgehen? „Es gibt sicher Menschen, die hätten damit Probleme, aber ich komme damit sehr gut klar“, sagt Lebede. „Wenn ich auf dem Wasser bin, ist er mein Trainer. Und wenn ich vom Vereinsgelände runter gehe, ist er halt wieder mein Vater.“

Beim Training macht Niklas Lebede keine Kompromisse. Egal, ob draußen auf der Regattabahn – oder so wie jetzt beim Indoor-Rudern auf dem Ergometer. Zehn Geräte stehen nebeneinander in der ersten Etage des Vereinsheims. Wer an ihnen trainiert, schaut durch ein großes Panoramafenster auf den Bertasee, ein Nebengewässer der 2180 Meter langen Regattabahn.


GANZKÖRPERTRAINING IM VEREINSHEIM

„Los geht’s“, sagt der 20-Jährige. Er nimmt auf dem Ruder-Gerät Platz, drückt sich mit den Beinen ab, lehnt den Oberkörper leicht nach hinten, dann zieht er mit den Armen einen Griff an den Körper heran. Anschließend bewegt er sich zurück in die Ausgangsposition. Immer wieder, 90 Minuten lang. „Ergo-Fahren kann ganz schön nerven, aber es ist wichtig“, sagt Lebede. Schweiß fließt, an Stirn und Armen treten die Adern hervor, die Smartwatch kontrolliert den Puls. „Es ist ein Ganzkörpertraining, gut für Ausdauer und Muskulatur.“

Um stets in Topform zu sein, trainiert Lebede auch regelmäßig im Kraftraum: Gymnastikmatten auf dem Boden, Neonröhren an der Decke, Spiegel an den Wänden. Verteilt im Raum: Hanteln in allen Formen und Größen, Gewichte, Mucki-Maschinen. „In der Schule haben mich meine Freunde immer scherzhaft gefragt, ob ich schon als Baby von meiner Mutter mit Eiweiß-Shakes gefüttert wurde“, sagt Lebede. Und, ja, seine Arm- und Beinumfänge lassen tatsächlich erkennen, dass er viel Zeit in diesem Raum verbringt.

Mit dem Smartphone steuert Lebede die Playlist der Stereoanlage. Heavy- Metal und Hip-Hop ballern aus den Boxen. „Letting You Go“ von Bullet for My Valentine, „Kryptonite“ von 3 Doors Down und „Fast Lane“ von Bad Meets Evil. „Krach ist beim Training immer gut“, sagt Lebede. Dann blickt er auf seinen Übungsplan: „Max-Kraft mit Kniebeugen“, steht da. Also schnappt er sich eine Langhantel, legt 60 Kilogramm auf, wuchtet sie auf seine Schultern – und beginnt mit den Kniebeugen, zunächst 20 Wiederholungen. Dann steigert er schrittweise das genutzte Gewicht, reduziert aber die Zahl der Wiederholungen. Der Trainingsplan sieht noch weitere Übungen vor – etwa „Bankziehen“, „Kreuzheben“, „Bizeps Curls“ oder „Trizeps am Turm“...

AB 1000 METERN TUT DER KÖRPER WEH

Motivation für die ganze Quälerei ist für Niklas Lebede die Aussicht auf den nächsten Wettkampf: „Wenn man weiß, wie gut es sich anfühlt, als Erster über die Ziellinie zu fahren und eine Medaille um den Hals zu haben – dann weiß man auch, dass sich das viele Training lohnt“. Außerdem müsse man als Ruderer nun mal bereit sein, an seine Grenzen zu gehen und Schmerzen auszuhalten. Durchhaltevermögen sei eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Ruderer mitbringen muss. „Die Olympische Distanz misst 2000 Meter. Ab 500 Metern fängt es an, wehzutun. Ab 1000 Metern tut dann der ganze Körper weh. Das sind solche Schmerzen, die können sich Nicht-Ruderer gar nicht vorstellen. Manchmal kippen die Sportler sogar vor Erschöpfung aus dem Boot.“

Wie es aussieht, wenn Top-Athleten an ihre Grenzen gehen, hat Niklas Lebede schon häufig an der Regattabahn im Sportpark Wedau beobachtet, zuletzt bei der U-23-Europameisterschaft im September 2020. 650 Sportler aus 32 Nationen waren nach Duisburg gekommen. Es war die erste große internationale Ruderregatta seit dem Beginn der Coronapandemie. Entsprechend groß war die Vorfreude.„Mit manchen Athleten, die dort gestartet sind, trainiere ich heute selbst zusammen“, sagt der 20-Jährige, der im U23-Bereich aktiv ist.
Niklas Lebede sagt, es mache ihn „schon stolz“, auf einem Gewässer wie der Regattabahn zu trainieren, „Schließlich wird sie regelmäßig von internationalen Spitzenathleten umgewühlt“, sagt er. Ohnehin ist die Anlage laut Lebede in der Ruder- und Kanu-Szene längst zum Aushängeschild der Stadt geworden: „Wenn man einen auswärtigen Ruderer fragt, was ihm zu Duisburg einfällt, dann sagt er sofort: ,Die Regattabahn!’“.


Austragungsorte Kanu-Weltmeisterschaften

Duisburg ist mit fünf Austragungen Nummer eins bei Kanurennsport-Weltmeisterschaften. Kopenhagen, Szeged und Belgrad (4x) sowie Posen (3x) liegen da zurück. Mit der Austragung der Kanu-WM 2023 baut Duisburg den Vorsprung weiter aus.
6
DUISBURG
4
KOPENHAGEN
3
POSEN
4
SZEGED
4
BELGRAD

(Quelle: wikipedia.de)

RUDERN ALS LEBENSSTIL

Es ist Nachmittag geworden. Und jetzt geht es für Lebede zum zweiten Mal an diesem Tag raus aufs Wasser. Training im Riemen-Zweier: „Meine bevorzugte Bootsklasse – und zugleich die anspruchsvollste“, sagt Lebede vor dem Ablegen. Das Boot hat keinen Steuermann, nur zwei Sportler sitzen darin. Jeder hat ein Ruder in der Hand, das er mit beiden Händen führt.

Nur wenn das Team perfekt aufeinander eingespielt ist, zeigt sich, was passiert, wenn „ein Boot richtig läuft“: Beide Sportler funktionieren als Einheit, sie machen die gleichen Bewegungen, nutzen die Ruder mit dem gleichen Druck, tauchen sie zeitgleich ins Wasser und ziehen sie synchron wieder heraus – das Boot gleitet, gewinnt immer weiter an Fahrt, der Bug schneidet das Wasser förmlich auf. „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt Lebede nach seiner Trainingseinheit. „In diesen Momenten macht’s richtig Spaß – und man merkt: Alles davor war nur der Weg hierhin.“

Am Abend sitzen die Ruderer auf dem Steg am Vereinsheim. Erschöpft, aber zufrieden. Die Hosenbeine haben sie hochgekrempelt, ihre Beine baumeln im Wasser. Auf einem Grill brutzeln Bratwürstchen und Nackensteaks. Die Sonne versinkt langsam hinter der Arena des MSV Duisburg und taucht die Szenerie in warmes Licht. „Rudern ist für mich ein Lebensstil“, sagt Niklas Lebede in diesem ruhigen Moment. „Ich hab über Jahre alles auf den Sport ausgerichtet – und ich hoffe, sehr bald in der Nationalmannschaft zu starten. Dann gucken wir, wohin die Reise noch geht.“