Menschsein in Duisburg


Kai Magnus Sting ist in Duisburg geboren und lebt dort bis heute. Als Kabarettist ist er ein genauer Beobachter des menschlichen Miteinanders. Ein Streifzug durch Duisburg, um herauszufinden, was den Duisburger zum Duisburger macht.

Duisburg. Die Sonne scheint auf einen Hinterhof in Duissern. Er ist eine kleine, grüne Oase der Ruhe, mitten im hektischen Treiben der Großstadt. Der Hinterhof gehört zum Café „Winzigschön“ an der Moltkestraße – nicht weit vom Hauptbahnhof und der Innenstadt entfernt. Die Besitzerin Sylvia Tönnies bringt gerade einen Cappuccino an einen der hölzernen Klapptische. Dort sitzt der Duisburger Kabarettist Kai Magnus Sting.

Er ist heute mit dem Fahrrad in seiner Heimatstadt unterwegs und trifft dort viele Menschen. Unterwegs stellt Sting sich die Frage, was den Duisburger eigentlich ausmacht. Eine Antwort kommt ihm im Café. „Ich glaube, dass die Nähe zum Wasser für die Duisburger ganz wichtig ist“, sagt der 43-Jährige: „Die Nähe zum Wasser ist eine Schnittstelle zum Niederrhein und Rheinland, das ist anders als etwa in Gelsenkirchen, das in der Mitte des Ruhrgebiets liegt.“

Von Fremd- und Selbstbildern

Recht mag er haben. In Duisburg fließen Rhein und Ruhr zusammen. Mit dem Kunstwerk Rheinorange ist dieser Besonderheit auch eine Landmarke gewidmet, die bereits von weiter Ferne aus zu erkennen ist. Das Duisburger Stadtgebiet selbst erstreckt sich auf beiden Seiten des Rheins. In den linksrheinischen Bezirken der Stadt wie Rheinhausen oder Homberg ist der Niederrhein näher als das Ruhrgebiet. Aber auch hier war die Montanindustrie prägend, bestimmte die Mentalität, die noch heute viele Menschen mit dem „Kohlenpott“ assoziieren. Eine Gemeinsamkeit, die ganz Duisburg verbindet.

Dass diese Fremd- und Selbstbilder von der Region und den Leuten, die dort leben, noch zeitgemäß sind, bezweifelt Kai Magnus Sting. „Es hat sich ja in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel getan. Diese ganzen Stereotypen, die existieren ja heute gar nicht mehr. Duisburg ist mittlerweile viel moderner und filigraner“, sagt er.


Unterwegs im Studentenviertel

Was er damit meint, das lässt sich schon in dem hippen Café erahnen, in dem der Duisburger Künstler gerade sitzt. Es könnte sich in der Form auch im angesagten Berliner Stadtteil Friedrichshain behaupten. Eine besondere Facette Duisburgs hat sich schon ein paar Stunden zuvor an einem anderen Ort gezeigt. Auf seiner Fahrradtour macht Sting auch Station im Botanischen Garten. Am Fuße des Kaiserbergs in Duissern sitzen zwei Studentinnen auf einer Parkbank und genießen die Mittagssonne. Ein Hipster schlendert lässig durch die Parkanlage. Er stoppt, um ein Bild mit der Handykamera von Kaulquappen zu machen, die sich in dem kleinen Teich tummeln. Ein Pärchen sitzt auf den Stühlen unter der grünen Pergola. Der Duft von Blumen liegt in der Luft, über deren Blüten sich Schwärme von Bienen hermachen.

Kai Magnus Sting macht im Botanischen Garten eine Pause von seiner Radtour quer durch Duisburg. Er packt ein Burrito aus und verputzt die gefüllte Tortilla-Weizenrolle. Sie stammt von „Matu's Burritos“ in Neudorf am Ludgeriplatz – noch so ein hipper Laden mitten im Studentenviertel. In Neudorf wohnt Kai Magnus Sting auch selbst.

Wer schon lange in Duisburg lebt, der kann an solchen Szenen und Orten gut festmachen, wie stark sich die Stadt und mit ihr die Menschen verändert haben. Kohle und Stahl waren gestern, die Luft ist längst nicht mehr so dreckig wie in der Erinnerung der Älteren – das ist nur noch ein Klischee, das sich außerhalb des Ruhrgebiets hartnäckig hält. Und Klischees werden selten der Realität gerecht. Die Kumpel unter Tage sind verschwunden und auch die Hüttenarbeiter sind weniger geworden. Stattdessen tummeln sich Studenten in der Stadt, Menschen in Anzügen oder legerer Kleidung, die in den Büros arbeiten, von denen einige in den vergangenen Jahren entstanden sind und noch weitere entstehen.

Offene und direkte Menschen

Was geblieben ist, das ist die Offenheit mit der sich die Menschen dieser Stadt nach wie vor im Alltag begegnen. Das zeigt sich zum Beispiel am Vormittag in der Buchhandlung Scheuermann am Sonnenwall, der Kai Magnus Sting einen seiner häufigen Besuche abstattet. „Ich bin eigentlich in jeder Buchhandlung in Duisburg Stammkunde“, sagt der Mann, der eine große Liebe zum gedruckten Wort im Herzen trägt.

So verstrickt er die Inhaberin, Elisabeth Evertz, nach einem herzlichen „Hallo“ auch direkt in eine Diskussion über Bücher, die den Gesprächen in der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“ in nichts nachsteht. Es geht um Theodor Fontane, Dan Brown und Fred Vargas. Und es ist kein Gespräch, das der Prominenz des bekannten Kabarettisten geschuldet ist. Es ist schlicht die Art, wie Elisabeth Evertz mit den Kunden spricht, die ihre eigene Begeisterung für Bücher teilen.


„Dann müssen Sie es jetzt kaufen“

Es ist eine Art des Umgangs, die Kai Magnus Sting sehr schätzt. „Ich finde es immer schön, wenn man unbekannt bleiben kann und keine Extrawurst bekommt, außer vielleicht beim Metzger“, sagt er und lacht

Gut kann er sich noch an einen seiner ersten Besuche erinnern. „Sie sind ja Sting“, sagte die Verkäuferin. Er: „Ja.“ Sie: „Ich habe Sie an der Stimme erkannt.“ Er: „Das freut mich immer sehr und ehrt mich.“ Sie: „Können Sie ein paar Bücher signieren.“ Er: „Das mache ich doch gerne.“ Diese direkte, dabei aber freundliche Art, die ungezwungen auf den Punkt kommt, zeichnet Duisburg und wohl das auch das ganze Ruhrgebiet aus. „Sowas ist mir nur noch einmal in Dortmund und Essen passiert. In München und Berlin ist den Menschen sowas egal“, sagt Sting.

In einer anderen Buchhandlung, in welcher Stadt weiß der Kabarettist nicht mehr, aber nicht in Duisburg und auch nicht im Ruhrgebiet, habe er eines seiner Bücher mal ungefragt signiert. „Was machen Sie da“, fragte ihn dann direkt jemand vom Personal. Kai Magnus Sting erklärte, dass er der Autor sei und es daher signieren wolle. „Dann müssen Sie es jetzt kaufen“, kam als Antwort.

Herzlich mit Understatement

Für den Kabarettisten stehen solche Anekdoten wie bei der Buchhandlung Scheuermann auch für die Mentalität der Menschen, die einen in Duisburg begegnen. Auf dem Sonnenwall zeigt sich dann noch eine andere Ausprägung dieser Mentalität. Ein Mann kommt auf Kai Magnus Sting, grüßt ihn beiläufig, zeigt auf seinen Bauch und macht einen wenig charmanten Witz, der nicht jedem gefallen muss. „In Duisburg wird man schon sehr jovial angesprochen“, sagt Sting kurz danach und schiebt hinterher: „Der Ruhrpottler ist in der Regel aber herzlich mit Understatement.“

Zurück im Café an der Moltkestraße und zurück zu der Frage, was den Duisburger zum Duisburger macht. „Den einen Duisburger gibt es eigentlich gar nicht“, sagt Kai Magnus Sting. Dazu sei Duisburg zu vielfältig. In der Stadt leben so viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Biografien, die nicht selten ihren Anfang weit weg von Rhein und Ruhr genommen haben. Was bleibt, das ist ein Ort, wo all diese verschiedenen Menschen zusammenkommen. Aber was auch bleibt, das ist der ungezwungene Umgang miteinander, der aus denen vielen einzelnen Biografien letztlich eine große macht – nämlich die von Duisburg selbst.


Kai Magnus Sting

Nicolas Wöhrl

Der Kabarettist, Rundfunkmoderator, Schauspieler und Autor Kai Magnus Sting kommt 1978 in Duisburg zur Welt. 1992 lernt er den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch kennen, den er als Schüler für den WDR interviewt. Die beiden Männer bleiben verbunden. 1995 tritt Sting mit seinem ersten Solo-Programm „…und der Rest ist Schweigen!“ in Duisburg auf. 1998 macht er sein Abitur am Landfermann-Gymnasium. Es folgen zahlreiche weitere Kabarett-Programme, CDs und Bücher. Auch Kriminalgeschichten schreibt Kai Magnus Sting. Er tritt in TV-Sendungen wie „Mitternachtsspitzen“, „Night Wash“ sowie „TV total“ auf, produziert Hörspiele und steht regelmäßig mit anderen großen Namen der deutschen Comedy- und Kabarett-Szene auf der Bühne.