DAS ERSTE UMWELTNEUTRALE QUARTIER DER WELT


Der Duisburger Hafenstadtteil Ruhrort soll bis 2029 keine Umweltbelastung mehr für den Planeten sein. Dieses ehrgeizige Ziel verfolgt das Familienunternehmen Haniel gemeinsam mit der Stadt Duisburg und anderen Partnern.

Der Duisburger Hafenstadtteil Ruhrort soll bis 2029 keine Umweltbelastung mehr für den Planeten sein. Dieses ehrgeizige Ziel verfolgt das Familienunternehmen Haniel gemeinsam mit der Stadt Duisburg und anderen Partnern.

Alexandra Alferi joggt den Leinpfad in Ruhrort entlang. Gerade geht die Sonne über Duisburgs Hafenstadtteil auf. Links von ihr verläuft der Rhein, rechts erstreckt sich über etwas mehr als fünf Quadratkilometer Ruhrort. Die 32-Jährige geht regelmäßig laufen, bevor sie ihren Arbeitstag bei Haniel beginnt. Der Firmensitz der Unternehmensgruppe liegt direkt im Herzen des Quartiers.

Schon immer waren Haniel und Ruhrort eng miteinander verbunden. Das 1756 gegründete Unternehmen hat sich von hier aus zu einem Mischkonzern mit Milliardenumsatz entwickelt. Während dieser langen Geschichte hat sich Haniel aber immer für den Stadtteil verantwortlich gefühlt und sich dort fortwährend engagiert. Dieses Engagement hebt das Unternehmen nun auf eine neue Stufe: Ruhrort soll als erstes urbanes Quartier weltweit bis 2029 umweltneutral werden.

Mit Bilanzen zur grünen Null

Anfang September stellte Haniel zusammen mit seinen Partnern das Projekt Urban Zero der Öffentlichkeit vor. Umweltneutralität geht dabei also weit über Klimaneutralität hinaus. „Umweltneutralität bedeutet, alle mit den Methoden der ökologischen Bilanzierung messbaren Umweltwirkungen des Quartiers zu erfassen, sie schnellstmöglich zu reduzieren und die nicht vermeidbaren Anteile durch ökologische Aufwertung auszugleichen, möglichst auf dem Gebiet des Stadtteils selbst“, erklärt der Unternehmer Dirk Gratzel. Ruhrort umweltneutral weiterzuentwickeln, ist also ein sehr ambitioniertes Ziel. Gratzel weiß, wovon er spricht. Der 54-Jährige ist der Gründer von Greenzero. Sein Unternehmen hat sich auf ganzheitlichen Lösungen spezialisiert, um ökologische Fußabdrücke zu reduzieren – bis hin zur „grünen Null“ eines nachhaltigen Lebensstils. Der unternehmerische Ansatz ist dabei eng mit Dirk Gratzels persönlichen Zielen verknüpft:

„Greenzero ist mein Vorhaben, die Ökobilanz meines Lebens zu einer grünen Null zu machen“, sagt der Unternehmer: „Ich bin also dabei, alle Umwelt- und Klimaschäden, die ich als moderner Mensch verursacht habe und noch verursache, bis zum Ende meines Lebens auszugleichen.“ Das alles begann mit einer detaillierten Ökobilanz, mit der sein eigener ökologischer Fußabdruck ermittelt wurde. „Das Ergebnis war erschreckend. Ich war eine echte Umwelt-Sau – und habe das selbst gar nicht wahrgenommen.“ Was bei Dirk Gratzel für einen einzelnen Menschen gemacht wurde, soll jetzt in der ersten Projektphase für den gesamten Stadtteil Ruhrort – in dem immerhin fast 6.000 Menschen leben – wiederholt werden. Deswegen ist auch Dirk Gratzel mit seinem Unternehmen Greenzero an der Ruhrorter Initiative beteiligt.

Arbeit, die Sinn stiftet

Eine dieser 6.000 Menschen ist Alexandra Alferi. Die gebürtige Duisburgerin ist vor etwa drei Jahren vom Dellviertel im Stadtzentrum von Duisburg nach Ruhrort gezogen. „Durch meine Arbeit in der Kommunikationsabteilung von Haniel habe ich den Stadtteil schon sehr gut kennengelernt“, so Alferi. „Und Ruhrort hat einfach Charme.“

Kleine Gassen, Kopfsteinpflaster, alte Laternen, Häuser aus der Gründerzeit, mal schick, mal etwas schäbiger, dazwischen Kneipen wie „Zum Hübi“ oder das Kultkiosk „Hafenmund“ – das ist Ruhrort.  „Es ist ein bisschen wie das Sankt Pauli von Duisburg“, sagt die 32-Jährige. Bunt, lebendig – ein pulsierendes Hafenviertel, das Menschen aus aller Welt mit offenen Armen empfängt.


Gerade deswegen ist Urban Zero für sie mehr als ein Projekt ihres Arbeitgebers: „Arbeit hat für mich auch immer etwas mit Sinn zu tun. Nur zu arbeiten, um Geld dafür zu bekommen, das hat mir noch nie gereicht,“ sagt sie. Und letztlich geht es für Alexandra Alferi bei Urban Zero auch um die Frage, in welchem Zustand die heute lebenden Menschen den Planeten folgenden Generationen überlassen wollen. „Wir haben jetzt die Gelegenheit – und auch die Verantwortung, die Weichen für eine gesunde Zukunft zu stellen“, sagt sie.

Enkelfähiger Stadtteil als Vorbild

Und es ist genau das, was sich Haniel mit dem Schlagwort „enkelfähig“ auf die Fahnen geschrieben hat und versucht, im Unternehmen wie auch in seiner Umgebung umzusetzen. Ziel ist es, „alle Investitionen ‚enkelfähig‘ zu machen und Wert für Generationen zu schaffen“. Dazu verfolgt Haniel eine klare Strategie, die auf drei Säulen fußt: Portfolio, Führung, Kultur. „Bei Haniel wollen wir erfolgreich sein, indem wir nachhaltige Unternehmen aufbauen, die eine lebenswerte Zukunft sichern“, sagt Thomas Schmidt, CEO von Haniel: „Diesen Ansatz übertragen wir nun auch auf unseren Stadtteil. Duisburg-Ruhrort wird enkelfähig! Gelingt das Vorhaben, gewinnen nicht nur die Umwelt und die Ruhrorter – sondern das Projekt kann auch international Vorbild für die Transformation urbaner Räume und Gesellschaften werden.“ „Durch Urban Zero wird der Begriff enkelfähig nochmal richtig konkret“, sagt auch Alexandra Alferi, die sich hauptberuflich im Team Family Services unter anderem um die Kontakte zu den rund 750 Gesellschaftern von Haniel kümmert.

Der weite Weg zur grünen Null

Bis zur echten Umweltneutralität ist es aber noch ein weiter Weg. Ist die Bilanz aufgestellt, müssen in einem weiteren Schritt noch die Umweltkosten beziffert werden. Ein Beispiel: In den Bereichen Transport, Energie und Abfall werden in Ruhrort etwa rund 53.000 Tonnen Schwefeldioxid jährlich in die Luft geblasen. Das Gas entsteht bei der Verbrennung von schwefelhaltigen fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdöl. Allein hierfür liegen die Umweltkosten bei mehr als sechs Millionen Euro jährlich. Um diese und andere Umweltkosten bis 2029 einzusparen, sollen über 100 einzelne Projekte realisiert werden. Wo das nicht möglich ist, wollen die Projektpartner einen Ausgleich schaffen – etwa durch naturnahe Grünflächen, die Begrünung von Fassaden oder Dächern. Klar ist, dass das nicht ohne die Menschen geht, die im Stadtteil leben. Deswegen ist noch für diesen Herbst eine Informationsveranstaltung für Vertreter aus dem Stadtteil und Bürgervereine geplant. Eine Veranstaltung für die Bürger ist für Mitte 2023 angedacht. Im selben Jahr soll auch ein Bürgerbüro als zentrale Anlaufstelle eröffnen.


Alexandra Alferi lebt nicht nur in Ruhrort, sondern verbringt einen großen Teil ihrer Freizeit dort. Sie kennt die Menschen in ihrer Nachbarschaft, spricht häufig mit ihnen. So weiß sie auch um die Skepsis der Bewohner. Noch ist das Projekt sehr abstrakt, erklärt sie, die Menschen wissen noch nicht, was eigentlich genau passieren soll. „Grundsätzlich stehen die Bewohner des Stadtteils der Initiative aber sehr positiv gegenüber“, resümiert sie. Für Alferi steht eines fest: „Ich freue mich, bei diesem einzigartigen Vorhaben dabei sein zu dürfen und meinen Beitrag zu leisten – sowohl als Ruhrorterin als auch als Haniel-Mitarbeiterin.“

Und so könnte Ruhrort schon bald weltweit das erste Quartier einer Großstadt sein, in dem seine Bewohner im Gleichgewicht mit der Umwelt leben.