Ein Sportjahr der Superlative


Duisburg richtet 2023 die Großereignisse Kanu-WM, „Ruhr Games“ und „Die Finals“ aus.

Christopher Mainka von DuisburgSport steht vor einer großen Herausforderung. Auf einer Tour durch die Stadt trifft er Athleten, die die drei Events prägen könnten. Katharina Bauernschmidt öffnet die Tür zu einem Materiallager. In einem langen Raum befinden sich Kanus in allen Größen und Farben. Bauernschmidt fährt mit ihrem Rollstuhl zu einem weißen Sportboot mit einer lackierten Deutschlandflagge auf dem Bug. Das Modell hat einen Ausleger und nennt sich Va‘a. Bauernschmidt streicht über die Oberfläche. „Dann wollen wir mal trainieren“, sagt die 33-Jährige.

Zwei Helfer tragen ihren Va’a zum Steg der weltbekannten Duisburger Regattabahn. Bauernschmidt bezeichnet die Trainingsstrecke als ihre zweite Heimat. Und in diesem Jahr möchte sie hier einen Coup landen. Vom 22. bis zum 27. August ist Duisburg bereits zum sechsten Mal Ausrichter der Kanu-Weltmeisterschaft. In keiner Stadt der Welt ging es in dieser Sportart häufiger um Gold, Silber und Bronze. „Ich möchte bei den Wettkämpfen vor der Haustür um die Medaillen mitfahren“, betont Bauernschmidt. Dann setzt sie sich in das Auslegerkanu, stößt sich vom Steg ab und paddelt los.

Während Bauernschmidt ihr Aufwärmprogramm auf dem Wasser absolviert, geht Christopher Mainka am Ufer der Regattabahn entlang. Der 39-Jährige arbeitet für DuisburgSport. Als Bereichsleiter kümmert er sich um die Sportstätten, Sportförderung, Marketing und den Schulsport. In diesem Jahr steht Mainka vor einer großen Herausforderung. „Wir werden in Duisburg ein einzigartiges Sportjahr erleben“, sagt der Duisburger.


Football-Finale, Marathon und Ironman

Seine Heimatstadt ist nicht nur Gastgeber der Kanu-WM. Der Regionalverband Ruhr vergab auch das Jugendsport-Festival „Ruhr Games“ an Duisburg. Vom 8. bis zum 11. Juni messen sich rund 5600 Sportler in 240 Wettkämpfen. Mehr als 100.000 Zuschauer werden dann Duelle im Boxring, Ballwechsel beim Beachvolleyball, Bestleistungen beim Stabhochsprung oder Tricks mit dem Flatland-BMX-Rad erleben.

Und wenn die „Ruhr Games“ enden, beginnen bereits die Vorbereitungen für den nächsten Höhepunkt. Duisburg ist in diesem Jahr auch Schauplatz der Multisport-Veranstaltung „Die Finals“. In sechs Sportarten geht es vom 6. bis zum 9. Juli um Deutsche Meisterschaften. Die BMX-Fahrer, Breaker und Kletterer treten im Landschaftspark Duisburg-Nord an. Und der Innenhafen ist Austragungsort für Wettbewerbe im Kanu, Kanu-Polo und Stand-up-Paddling. „Das ist schon ein volles Programm“, sagt Mainka, der sich auch auf das Endspiel der European Football League am 24. September, den Rhein-Ruhr-Marathon am 11. Juni und den „Ironman 70.3“ am 6. August freut. Er hat eine simple Erklärung, warum Duisburg der richtige Ort ist, um ein Sportjahr der Superlative umzusetzen. „Wir haben fantastische Sportstätten“, sagt Mainka. So befindet sich die Regattabahn inmitten des Sportparks Duisburg, der mit 200 Hektar Fläche einer der größten Deutschlands ist. „Hier kann man so ziemlich jede Sportart ausüben“, erklärt Mainka. Die Kanuten und Ruderer sind unterwegs auf der Regattabahn. Im Schwimmstadion Wedau spielen der ASCD Duisburg und der SV Duisburg 98 um Bundesliga-Punkte. Und die Schauinsland-Reisen-Arena ist Heimstätte der Fußballteams des MSV Duisburg.

Das Wimbledon des Kanusports

Katharina Bauernschmidt hat ihre Trainingseinheit mittlerweile beendet. Sie steuert den Steg an und steigt wieder um in ihren Rollstuhl. Christopher Mainka begrüßt die Para-Kanutin, deren schicksalhafte Geschichte er gut kennt. Katharina Bauernschmidt war in ihrer Jugend noch Leistungsschwimmerin.

Im Alter von 21 Jahren zog sich die gebürtige Hernerin dann eine Bandscheibenverletzung zu. Sie entschloss sich nach langem Hin und Her zu einer Rücken-Operation. Eigentlich war es ein Routineeingriff. Doch bei einer zweiten Operation traten Komplikationen auf – mit tragischen Folgen. „Ich bin als Fußgängerin ins Krankenhaus reingegangen und kam nach der Anschlussbehandlung als Rollstuhlfahrerin heraus“, beschreibt Bauernschmidt ihr Schicksal. Es war ein tiefer Einschnitt im Leben der jungen Frau. „Ich hatte zunächst gar keine Lust mehr auf Sport, ich musste mich und meinen Alltag ja ganz neu organisieren“, erzählt Bauernschmidt.

2017 kam sie dann durch ein Training beim WSV Duisburg Niederrhein zum Parakanu-Rennsport. Es passte auf Anhieb. „Man hat die Natur um sich herum, und das ist wunderschön“, schwärmt Bauernschmidt. Der heutige Bundestrainer André Brendel erkannte das Talent der Sportlerin. Ein Jahr nach ihrem ersten Probetraining gehörte Bauernschmidt zum „Team Deutschland“ und sicherte sich kurz darauf das Ticket für die Paralympics in Tokio. Beim Großereignis in der japanischen Hauptstadt wurde sie Sechste. Ihr Fernziel sind nun die Paralympics 2024 in Paris.

Wenn sie bei der Weltmeisterschaft eine Top-Platzierung erreicht, sieht es mit der Qualifikation gut aus. „Mein Fanklub wird mich schon nach vorne schreien“, sagt Bauernschmidt. Der Heimvorteil ist für sie ein Argument, warum sie gerne in Duisburg paddelt. „Die Regattabahn ist für mich aber auch die fairste Wettkampfstrecke der Welt, weil alle Starter die gleichen Bedingungen haben“, erklärt Bauernschmidt. Unter den Athleten und Trainern gilt Duisburg als das „Wimbledon des Kanusports“.



Breaking vor Industriekulisse

Ortswechsel. Christopher Mainka läuft über das Gelände des Landschaftsparks Duisburg-Nord. Das 180 Hektar große Areal rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt – und zudem Schauplatz für große Sportevents. Mainka hat sich heute mit Mario Eckel verabredet. Der 24-Jährige ist Breaker und gehört im Straßentanz zu den besten Sportlern in Deutschland. Eckel nimmt an Wettkämpfen, den sogenannten Battles, auf der ganzen Welt teil. Er kommt gerade aus Tokio und bereitet sich demnächst auf die Reise nach Rio de Janeiro vor.

Anfang Juli kann der Kölner bequem mit dem Auto anreisen. Dann startet er beim Event „Die Finals“ und möchte Deutscher Meister werden. Christopher Mainka führt den Breaker durch den Landschaftspark. „Wow, die Kulisse ist richtig stark“, sagt Eckel während er einen alten Hochofen betrachtet. Er geht in die Gießhalle. Hier geht es demnächst um die Titel. Eckel wird in Duisburg Tricks zeigen wie den „Head Spin“, eine Rotation auf dem Kopf, oder den „Legrider“, die Drehung um die eigene Achse auf einem Bein oder Knie. Überzeugt er die Jury, steigert der Breaker die Chancen auf seine Olympia-Teilnahme: Im kommenden Jahr feiert die Sportart ihre Fünf-Ringe-Premiere. Eckel möchte in Paris unbedingt starten. „Dafür trainiere ich jeden Tag“, sagt das Mitglied des Bundeskaders.

Wenn Eckel zu den Breaking-Wettbewerben nach Duisburg kommt, hat er die Chance, sich noch andere Sportarten anzuschauen. Schließlich messen sich auch Deutschlands beste BMX-Fahrer und Kletterer im Landschaftspark. „Die Industriekulisse bietet einen perfekten Hintergrund für Trendsportarten“, sagt Christopher Mainka. Und vom Landschaftspark ist der Weg zum Innenhafen nicht weit. Dort befindet sich der zweite Duisburger Austragungsort der Veranstaltung „Die Finals“.

Traum von Olympia-Gold

Eine Woche nach seinem Treffen mit Mario Eckel steht Christopher Mainka in einem Box-Gym und blickt staunend an die Wände. Poster der Sportgrößen Muhammad Ali und Floyd Mayweather junior schmücken den Raum. Ein überdimensionales Schwarz-Weiß-Bild stellt die Porträts der Faustkampf-Ikonen aber in den Schatten. Es zeigt den deutschlandweit bekannten Boxtrainer Hans Westerfeld. Er förderte bei Westende Hamborn viele Talente. Bis kurz vor seinem Tod im Herbst 2022 kam Westerfeld noch regelmäßig ins Gym – und das im Alter von 94 Jahren.

Den großen Triumph eines jungen Athleten aus seinem Team erlebte er nicht mehr mit. Im vergangenen Jahr gewann Westende-Boxer Colin Lottner im türkischen Erzerum die U15-Europameisterschaft. Der Erfolg weckte die Gier nach weiteren Titeln. Und deshalb nutzt Lottner auch die Osterferien, um zu trainieren. Er wärmt sich mit Seilspringen auf. „Jetzt mach das Ganze mal über Kreuz“, ruft Sascha Lottner, der seinen Sohn auch trainiert. Als Colin noch ein Kleinkind war, schaute er sich mit seinem Vater alte Boxkämpfe an. Er sah Videos des legendären WM-Fights zwischen Muhammad Ali und George Foreman in Kinshasa. Das weckte den Ehrgeiz in ihm. „Ich habe mir schon früh das Ziel gesetzt, Olympiasieger zu werden“, sagt der 15-Jährige. Das Großereignis in Paris kommt für ihn noch zu früh. Er möchte 2028 in Los Angeles die Goldmedaille holen.

Jetzt hat er erstmal das nächste Etappenziel im Blick: die „Ruhr Games“ in seiner Heimatstadt. Colin Lottner gehört in der U17-Altersklasse aufgrund seiner jüngsten Erfolge zu den Favoriten. „Aber ich muss in jedem Kampf meine Topform zeigen“, sagt der junge Boxer. Dass er im Landschaftspark Nord antritt, ist für ihn etwas Besonderes. „Ich wohne direkt um die Ecke“, erzählt der Schüler. „Das steigert nochmal meine Motivation.“ Christopher Mainka freut sich auf die Box-Wettbewerbe bei den „Ruhr Games“ – insbesondere auf die Kämpfe mit Colin Lottner. „Er hat eine unglaubliche Zukunft vor sich, wenn er zielstrebig auf seinem Weg bleibt“, sagt er über das Toptalent. Mainka schaut noch zu, wie Lottner seine Schlagkombinationen an einer Boxbirne perfektioniert. Dann verabschiedet er sich. „Ich habe im Büro noch einiges zu erledigen“, erklärt Mainka.


So ein Sportjahr der Superlative erfordert viel Planung und Abstimmung.

 Und Mainka muss schon über 2023 hinausdenken. In zwei Jahren ist Duisburg Mit-Ausrichter der „World University Games“, die Weltspiele der Studierenden. 2026 geht es in der Sportstadt um die Weltmeistertitel im Kanu-Polo. Und im Jahr 2027 möchte Deutschland gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden Gastgeber der Weltmeisterschaft im Frauenfußball sein. Der Deutsche Fußball-Bund hat in seiner Bewerbung auch Duisburg als Austragungsort benannt. „Wenn wir den Zuschlag bekämen, würde ich mich riesig freuen“, sagt Christopher Mainka. Einen großen Traum hätte er dann noch: „Es wäre super, wenn Duisburg in naher Zukunft, Mitausrichter der Olympischen Spiele sein könnte.“ Die geeigneten Sportstätten hat die Stadt schon heute.